Leitartikel

Unternehmensnachfolge rechtzeitig planen

Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn werden in den Jahren 2022 bis 2026 rund 190.000 Unternehmen zur Übergabe anstehen. Demografie- und bürokratiebedingt ist der betriebliche Generationswechsel zu einer zeitraubenden Herausforderung geworden. Wo finden sich Jungunternehmer und Jungunternehmerinnen? Wie kann ein Unternehmen bewertet werden? Wie bereitet man eine Firmenübergabe vor, und welche Faktoren der Steuer-, Rechts- und Finanzplanung müssen berücksichtigt werden? Viele Fragen, deren Klärung eine rechtzeitige und strukturierte Herangehensweise erfordert.
Die Übergabe eines Unternehmens erfolgt meist in mehreren Stufen: Vorbereitung für die Übergabe, Unternehmensbewertung, Suche eines Nachfolgers, Auswahl eines Bewerbers mit persönlichem Kennenlernen und schließlich die finale Übertragung. „Wer sein Unternehmen übergeben möchte, der hat mit einer Notfallplanung schon den ersten Schritt zur Vorbereitung einer Übergabe gemacht“, verrät Stefan Schiele von der IHK Ulm. Er ist, wie sein Amtskollege Jürgen Kuhn von der IHK Bodensee-Oberschwaben, Ansprechpartner für Mitgliedsunternehmen, die einen Nachfolger suchen. Nicht immer erfolgt eine Unternehmensübergabe aufgrund des Alters. Auch plötzliche Sterbefälle oder die Krankheit des Firmeninhabers können Auslöser für eine Ad-hoc-Übergabe sein. Deshalb ist es hilfreich, wenn ein Notfallplan existiert, der Zuständigkeiten ebenso regelt wie organisatorische Abläufe oder den Zugriff auf Bankkonten. Auf diese Weise kann ein Unternehmen auch ohne den Inhaber weitergeführt werden. Eine Unternehmensübergabe im Rahmen einer geplanten Nachfolge ist mit so einer Situation vergleichbar: Der Betrieb muss zukünftig ohne den bisherigen Besitzer weiterlaufen.

„Chemie“ zwischen Verkäufer und Nachfolger muss stimmen

Wie reibungslos eine gut vorbereitete Unternehmensübergabe erfolgen kann, hat Sabrina Heer-Schöll erfahren. Sie hat im Sommer 2023 die Modeboutique Kolibri im Zentrum von Ulm übernommen. Nach über zwölf Jahren Mitarbeit im elterlichen Textilveredelungsbetrieb auf der Schwäbischen Alb wollte sie den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Beim Besuch eines Gründerseminars der IHK Ulm wurde sie auf die Online-Plattform nexxt-change aufmerksam und schon nach wenigen Monaten fündig: Eine Modeboutique mit Accessoires in Ulm suchte einen Nachfolger. Um die Diskretion zu wahren, war kein Name genannt. „Erst bei der telefonischen Kontaktaufnahme mit der IHK habe ich – nach Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung – erfahren, dass es sich um Kolibri handelt“, erzählt Sabrina Heer-Schöll. „Schon das erste Telefonat mit dem Besitzer der Boutique war sehr angenehm. Zehn Tage später haben wir uns persönlich im Geschäft getroffen und kennengelernt. Ich habe mich im Laden gleich wohlgefühlt und mich gut mit dem Inhaber, dem Sohn der Gründerfamilie, verstanden. Wir hatten dieselbe Vorstellung von der Führung des Geschäfts. Irgendwie hat die Chemie gestimmt.“ Nur drei Wochen später lernte Heer-Schöll auch das Gründerehepaar auf der Modemesse in Düsseldorf kennen. „Wir waren drei Tage zusammen auf der Messe, und ich wurde bekannt gemacht mit den Einkaufsabläufen, den Lieferanten und den besonderen Marken, die Kolibri führt. Wir haben uns so gut verstanden, dass für mich die Entscheidung hinsichtlich der Firmenübernahme ebenso klar war wie für die Inhaberfamilie.“ Doch dann sei das erste Hindernis aufgetaucht: die Firmenbewertung. Diese sei so hoch angesetzt gewesen, dass die Banken eine Finanzierung abgelehnt haben. Doch Heer-Schöll gab nicht auf. „Nach Rücksprache mit meinem Steuerberater und auf der Basis des vorgegebenen Kreditrahmens der Bank habe ich die Verhandlungen mit den Inhabern fortgeführt. Zunächst mit wenig Zuversicht, denn die Nennung der Bank war weit weg von der ursprünglichen Bewertung. Doch die Besitzer haben eingesehen, dass es wichtiger ist, einen Nachfolger zu finden, der in ihrem Sinne ihr Lebenswerk weiterführt, die Mitarbeiter übernimmt und auf große Veränderungen verzichtet.“ Letzteres habe auch nach der finalen Übernahme dazu beigetragen, dass die Mitarbeiter voll und ganz hinter der neuen Besitzerin stehen. Ein wichtiger Faktor für die 34-jährige Mutter mit einem 15-jährigen Sohn und einer siebenjährigen Tochter. „Meine Mitarbeiter halten mir den Rücken frei und haben Verständnis dafür, dass ich mittwochs freihabe und für meine Kinder da bin“, äußert sich Heer-Schöll. „Allerdings ist es eine Umstellung für die Familie, wenn man vorher 20 Stunden und nun als Unternehmerin bis zu 60 Stunden in der Woche arbeitet.“ Ihren Schritt in die Selbstständigkeit hat sie nicht bereut: „Es war nicht nur eine gute Entscheidung, es war die beste“, sagt sie lachend.
Wer eine Übergabe ins Auge fasst,
sollte auch dafür Zeit einplanen.

- Sebastian Göring, Inhaber und Geschäftsführer von EUROCONSIL in Kornwestheim

„Die rechtzeitige Suche nach einem Nachfolger ist unerlässlich“

Mutige Gründer mit energiegeladenem Unternehmergeist finden sich heute immer seltener. „Seit meiner Firmengründung im Jahr 2011 als Unternehmensberatung im Bereich Nachfolge und Fusion ist es erheblich schwieriger geworden, Jungunternehmer zu finden“, berichtet Sebastian Göring, Inhaber und Geschäftsführer von EUROCONSIL in Kornwestheim. Das liege zum einen an der demografischen Entwicklung und zum anderen an fehlenden finanziellen Mitteln. Auch das neue Verhältnis zur Arbeit spiele eine Rolle. „Der Hunger nach Erfolg ist manchmal wenig ausgeprägt, und die unternehmerische Tätigkeit passt oft nicht zu den Vorstellungen von Work-Life-Balance.“ Früher habe man ein Unternehmen innerhalb der Familie übergeben, heute suchen circa 70 Prozent der zu übergebenden Betriebe einen Fremdnachfolger. Dafür hat sich EUROCONSIL gut gerüstet: Auf der Online-Plattform des Unternehmens können sich Verkäufer und Kaufinteressierte gleichermaßen registrieren und auf diese Weise zusammenfinden. „Es ist uns wichtig, im ersten Schritt das Unternehmen auf seine Übergabeeignung zu prüfen“, beschreibt Göring sein Vorgehen. „Dazu werden Kundenstrukturen betrachtet, die Altersstruktur der Mitarbeiter, die Organisationsstruktur mit den Führungsebenen, die Abhängigkeit vom Inhaber, die Branchensituation und die Dynamik der bisherigen Unternehmensentwicklung.“

Im zweiten Schritt erfolge dann die Erstellung der Unternehmensbewertung. „Das ist für den Übergebenden meist der wichtigste Faktor, denn nicht selten wird der Verkaufspreis zu einem Teil der Altersversorgung“, führt Göring aus. „Der Preis muss angemessen sein und mit Zahlen belegt werden. Bei der Festlegung helfen uns verschiedene mathematische Verfahren wie zum Beispiel das Ertragswertverfahren und das Substanzwertverfahren, die am gängigsten sind. Aufgrund der Komplexität der Bewertungsverfahren sollte man dafür einige Zeit einplanen.“ Ist ein Käufer gefunden, seien rechtliche und steuerliche Aspekte zu beleuchten, insbesondere, wenn es um komplizierte Gesellschaftsstrukturen oder Geschäftsanteile gehe. „Wir ziehen zu jeder Transaktion einen Steuerberater und einen Anwalt hinzu. Wer eine Übergabe ins Auge fasst, sollte auch dafür Zeit einplanen. Die rechtzeitige Suche nach einem Nachfolger ist unerlässlich, denn das braucht oftmals ein bis zwei Jahre, und auch die Zeit für die Einarbeitung des neuen Besitzers darf nicht aus den Augen verloren werden.“

Kontinuität beweisen und Vertrauen gewinnen

Diese Erfahrung hat auch Kurt Schauer gemacht, allerdings von der Käuferseite aus. Er ist Inhaber der KAOS Werbeagentur in Wangen und hat bereits einige Agenturen übernommen. Ganz gezielt übernimmt der Unternehmer adäquate Agenturen in seiner Region, um auf diese Weise zu wachsen, das Kundenspektrum zu erweitern und Fachkräfte zu sichern. Dabei geht er ganz pragmatisch vor. „Mein erster Schritt ist die Überlegung, ob das zum Verkauf stehende Unternehmen zu unserem Standort passt und die Mitarbeiter bereit sind, den Wechsel mitzutragen. Natürlich muss auch das Leistungsportfolio passen“, erläutert Schauer. Im zweiten Schritt konsultiere er seinen Steuerberater, um mit ihm gemeinsam die Unternehmensbewertung einer Prüfung zu unterziehen.

„Als essenziell erachte ich Faktoren wie Umsatz, Betriebsergebnis, Dauer der jeweiligen Geschäftsbeziehungen mit den Stammkunden, eventuelle Abhängigkeiten von einzelnen Großkunden und zukünftig erzielbares Ergebnis, damit sich das Investment in absehbarer Zeit refinanziert.“ Neben der Verständigung auf einen Kaufpreis stünden die Kreditverhandlungen mit der Bank an. „Das kann zu einer echten Herausforderung werden“, stöhnt Schauer und erklärt: „Unzähliges Zahlenmaterial muss vorgelegt werden, und die finalen Entscheidungen können durchaus sechs Monate oder länger dauern.“ Sobald mit einem Notartermin die Übergabe besiegelt sei, stehe das Wichtigste an: die Integration der übernommenen Mitarbeiter in die bestehende Organisation. „Dafür klinkt sich eine meiner Führungskräfte oder ich selbst ein halbes Jahr vom Stammsitz meines Unternehmens aus und widmet sich ganz der zugekauften Agentur“, schildert Schauer sein Vorgehen. „Eine Agentur ist ein Geschäft, das meist auf eine Person – den Inhaber – fokussiert ist. Ziel muss es deshalb sein, das Vertrauen von Mitarbeitenden und Kunden zu gewinnen. Menschen mögen meist keine Veränderungen, deshalb versuche ich so wenig wie möglich zu ändern, um Kontinuität zu beweisen. Notwendige Veränderungen nehme ich nur langsam vor und stets mit dem Ziel, das Beste des jeweiligen Unternehmens zu bewahren.“
Für seine Übernahmen – mittlerweile sind es mehr als zehn – hat Schauer sich selbst ein strukturiertes Vorgehen erarbeitet, das den jeweiligen Gegebenheiten angepasst wird. Seine Erfahrungen gibt er im Rahmen einer „Unternehmensberatung Agenturnachfolge“ an Interessierte weiter.
Ziel muss es sein, das Vertrauen von Mitarbeitenden und Kunden zu gewinnen.
- Kurt Schauer, Inhaber der KAOS Werbeagentur in Wangen

„Wir raten eindringlich dazu, ein Unternehmen bei voller Fahrt zu übergeben“

Auf ähnliche Art und Weise ist die SPK Unternehmensberatung in Weingarten zum Experten im Bereich Nachfolge geworden. „Als Berater ist man mit vielen Themen rund um ein Unternehmen konfrontiert“, berichtet Geschäftsführer Daniel Milz. „Man erlebt den Lebenszyklus eines Unternehmens mit und wird zu einer Vertrauensperson. Deshalb haben wir als SPK-Gruppe vielfach Betriebsübergaben steuerlich begleitet und uns dann entschieden, aufgrund der Komplexität des Themas, eine ganzheitliche, interdisziplinäre Nachfolgeberatung mit anzubieten.“ Die Herangehensweise erfolge strukturiert, indem der Mandant zunächst emotional auf eine Übergabe vorbereitet werde. Eine altersbedingte Übergabe sei mit dem Aufgeben eines Lebenswerks verbunden, in dem nicht nur Fleiß, Verzicht und viel Herzblut steckten, sondern auch Identifikation. „Es fällt vielen Firmeninhabern schwer, sich emotional von ihrem Lebenswerk zu lösen“, sagt Daniel Milz. „In Vorbereitung einer Übergabe weisen wir auf den notwendigen Fortbestand des Unternehmens hin, auf die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und das Generieren eines angemessenen Verkaufspreises zur Altersversorgung des Übergebenden. Dann wird eine Bilanz- und Strukturanalyse erstellt, eine Bestandsaufnahme zur gesamten Situation sowie eine Übersicht der getätigten und erforderlichen Investitionen. Wir raten eindringlich dazu, ein Unternehmen bei voller Fahrt zu übergeben und nichts vor der Übergabe schleifen zu lassen.“ Nach diesen Vorbereitungsmaßnahmen werde die Unternehmensbewertung erstellt, der unterschiedliche mathematische Verfahren zugrunde liegen können, unter anderem das Ertragswert- und Substanzwertverfahren. Über ein Multiplikationsverfahren könne ein erster überschlägiger Wert errechnet werden. Der anzuwendende Multiplikator werde auf der Basis von tatsächlich durchgeführten Unternehmensverkäufen ermittelt. Bei der anschließenden Käufersuche setzt die SPK auf ihr umfangreiches Netzwerk und auf Inserate in Online-Portalen, darunter auch nexxt-change.
Die weitere Vorgehensweise beschreibt Milz wie folgt: „Sobald wir einen Interessenten oder eine Interessentin gefunden haben, bitten wir um die Unterzeichnung einer Vertraulichkeitserklärung und übergeben ein Exposé. Dann bringen wir Verkäufer und den potenziellen Nachfolger zusammen, um zu sehen, ob es menschlich zusammenpasst, denn die Übertragung eines Unternehmens setzt eine intensive Zusammenarbeit voraus. Es folgt die Verhandlung des Kaufpreises, was meist den schwierigsten Part darstellt, da die Inhaber ihre Preisforderungen oft auf der Basis von subjektiven Aspekten erheben, während es dem Käufer mehr um die sachlichen Aspekte geht. Hier gilt es, beide Parteien zu einem Aufeinanderzugehen zu bewegen. Das alles braucht seine Zeit, deshalb empfehle ich, Übergaben auf lange Sicht mit bis zu fünf Jahren Vorlaufzeit zu planen.“
Dipl.-Wirt.-Ing. Birgit Mann, Wirtschaftsingenieur Kommunikationstechnik und Inhaberin der Team-Entlastung PR Blaubeuren
Die Übertragung eines Unternehmens setzt eine intensive Zusammenarbeit voraus.
Daniel Milz, Geschäftsführer der SPK Unternehmensberatung GmbH in Weingarten